PARFUM ALS SPIEGELBILD DER SEELE

PARFUM ALS SPIEGELBILD DER SEELE

Interview mit Duftkreateur
Serge Lutens

VON SANDY STRASSER

(Veröffentlicht in Das Produktkulturmagazin Ausgabe 3 2014)

Serge Lutens gilt als wahrer Exzentriker unter den Parfümeuren. Seine Kompositionen wirken nicht selten sperrig und komplex. Zu viel Kunst, zu wenig Kommerz und stets antikonform. Und gerade deshalb so prägend. Der 72-Jährige Franzose setzt Trends, obwohl er selbst, im schwarzen Maßanzug mit weißem Hemd und Manschettenknöpfen gekleidet, eher wie ein Relikt aus den 20er-Jahren wirkt. Doch wer ist der Mann, der bereits in jungen Jahren seine Begeisterung für Make-up und Fotografie entdeckt und später einmal für große Marken wie Dior oder Shiseido arbeiten sollte? Uns gewährt er einen intimen Einblick in sein Schaffen als Künstler – und in seine Seele.

Wer oder was hat Sie als Kind fasziniert? 

Serge Lutens: Meine Kindheit liegt weit zurück, aber ich weiß, dass der Ursprung meines Schaffens in einer seelischen Verletzung liegt, die meine Mutter und mich stigmatisiert hat. Meine Werke sind eine Antwort darauf, eine Waffe unter dem Mantel der Schönheit. Was mich bis heute fasziniert, ist die Auflehnung, weil meiner Meinung nach in ihr die Schönheit zum Ausdruck kommt. Nicht als Gruppenrevolte mit Spruchbändern und Parolen, sondern als individuelles, unausweichliches Verhalten, das einen zum Nachdenken zwingt.

Weshalb?

S. L.: Als Kind saugte ich alles in mich auf, litt mit den Dingen und erfreute mich an ihnen. Ich blicke stets in mich hinein und alles, was ich ansehe, ob es nun ein Ameisenhaufen oder ein flehender Hundeblick ist, ist ein Teil meiner selbst und berührt mich zutiefst. Alles wird gespiegelt. 

Wie und wann haben Sie festgestellt, dass Sie ein besonderes Talent für das Kreieren von Düften haben?

S. L.: Die Sinne sind nicht isoliert, ebenso wenig wie die Ereignisse des Lebens. Der Duft als fertiges Produkt interessiert mich nicht. Düfte sind ein Ausdrucksmittel, eine Absichtserklärung, und das nicht mehr oder weniger als die Frauen oder der Ausdruck von Weiblichkeit, die ich in mir trage. Durch Düfte konnte ich mich ausdrücken, aber es geht mir nicht um ein Produkt als Schlachtreihe oder als Kriegerdenkmal.

Welches handwerkliche Geschick muss man mitbringen, um ein guter Parfümeur zu werden?

S. L.: Ich glaube nicht an Talent und ich bin auch kein klassischer Parfümeur. Ich habe einfach wache Sinne. Ein Duft muss nicht nur wahrgenommen, sondern auch verstanden werden. Letztlich besteht eine Nase aus zwei Nasenlöchern.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen neuen Duft komponieren? Gibt es spezielle Inhaltsstoffe, die sie beispielsweise immer als Basis verwenden?

S. L.: Wie alle Maler habe ich Lieblingsfarben, wie alle Schriftsteller Lieblingswörter, aber letztlich sorgt doch die Zusammensetzung für die überwältigende Wirkung. Ein Duft ist eine Abfolge von Akkorden. Und der Duft ist auch der eigentliche Handwerker. Der Rest ist Intuition. Sonst wäre das eine unbefriedigende Angelegenheit.

Welche Rolle spielt Sinnlichkeit dabei?

S. L.: Die Sinnlichkeit bei meiner Arbeit ist umfassend. Auch bei der Liebe geht es nicht nur um Haut, sondern um das Sehen, Riechen, Schmecken... 

Nehmen Männer und Frauen dieselben Ingredienzen in Düften wahr?

S. L.: Da ich beides bin, kann ich das bejahen. Meinen Sie, es gibt Musik für Männer und Musik für Frauen, Kekse für Männer und Kekse für Frauen? Jeder hat eine Vorstellung von sich. Das muss man differenziert sehen. Stellen Sie sich mal vor, ein Duft müsste Ihr Geschlecht anzeigen! Da vertraue ich doch lieber auf den gesunden Menschenverstand. Das gilt nicht für diejenigen, die wie Schafe den Marken und pathetischen soziokulturellen Produkten wie einer Fee Luciola oder einem maskulinen Zorro hinterherlaufen.

Was inspiriert Sie? Haben Sie eine Muse?

S. L.: Musen amüsieren mich nicht. Wenn es eine Muse gibt, dann in mir selbst. Ich sehe sie nur, wenn sie herauskommt – in Gestalt eines Duftes, einer Fotografie, eines Textes... Sie ist die erwachsene Frau eines Kindes, das nicht mit ihr Schritt halten konnte.

Was zeichnet Ihrer Meinung nach ein gutes Parfüm aus?

S. L.: Dass man es aussucht, weil es einem gleicht. Ein Duft darf nicht das Stereotyp eines Pin-ups oder eines anderen aufgewärmten Produkts sein. 

Welche Düfte präferieren Sie beruflich? Welche privat?

S. L.: Ich beschäftige mich nicht „beruflich“ mit Düften. Was ich tue, geschieht aus Überzeugung und weil es mir gefällt. Ich würde sagen, ich habe während meiner gesamten Laufbahn Berufe erfunden, aber ohne kommerzielle Hintergedanken. Ich trenne nicht zwischen verschiedenen Ichs. Ich habe zwei Persönlichkeiten, die untrennbar sind.

Gibt es Parameter hinsichtlich des Parfümkonsums, an denen man die wirtschaftliche Stabilität eines Landes erkennen kann? 

S. L.: Da habe ich keine Ahnung und es ist mir auch egal.

Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel bezüglich einer immer älter werdenden Bevölkerung auf die Parfümindustrie? Müssen Duftkonzepte dahingehend angepasst oder gar neu entwickelt werden? 

S. L.: Die Alten sind ein Begriff der Jungen und die Jungen sind ein Begriff der Alten. Ich habe beide in allen Altersstufen getroffen. Von dem Begriff „Senioren“ halte ich gar nichts. Ich passe mich an, bin zu einer höflichen Person höflich und schlage einer groben Person die Tür vor der Nase zu. Aber ich interessiere mich wenig dafür, womit die Leute sich bis zu ihrem Tod beschäftigen sollen.

Welche Gesellschaftsschicht trägt heutzutage welche Art von Duft? 

S. L.: Dazu müsste es soziale Schichten geben! Der Ansatz an sich ist falsch.

Was meinen Sie ist der Grund dafür? 

S. L.: Die Reichen haben ein gut gefülltes Portemonnaie und die Armen möchten das auch. Ihres ist aber leer. Ich weiß nicht, was Geschmack ausmacht, aber es ist keine Frage des Alters, des Geschlechts oder der sozialen Zugehörigkeit. Geschmack ist Identität, etwas Absolutes.

Inwieweit haben sich Herrendüfte in den vergangenen 20 Jahren in Europa verändert? 

S. L.: Ich glaube, dass vor allem der Geschmack der Menschen sich verändert. Er prägt sich feiner aus, aber ich bin sicher, dass eine Frau eine Frau und ein Mann ein Mann ist, unabhängig von Äußerlichkeiten. Darüber hinaus ist alles eine Frage des Selbstbildes.

Wie sieht der Mann aus, der Ihre Düfte trägt? Hat er einen besonderen beruflichen Status? 

S. L.: Das weiß ich nicht. Ob man meine Arbeit schätzt oder ablehnt, ist mir gleich.

Was empfehlen Sie Frauen, wenn Sie einem Mann ein Parfüm schenken möchten?

S. L.: Sie sollten ihn gut kennen und ihn lieben oder aber die Finger davonlassen. Etwas für einen anderen auszusuchen, ist das Schwierigste, das es gibt.

Sie leben seit über 40 Jahren im Marrakesch. Was fasziniert Sie am orientalischen Kulturraum besonders?

S. L.: In Marrakesch lebe ich auf Distanz zu Frankreich und Europa. Kreativität erfordert Distanz, denn selbst wenn ich dazugehören möchte, will ich mich doch nicht aufgeben. Allein in einem Land zu leben, in dem das Lächeln allgegenwärtig ist, fällt mir leichter, als mich in eine Form zu pressen, die nicht zu mir passt.

Auf was achten Sie bei Menschen, wenn Sie Ihnen zum ersten Mal begegnen?

S. L.: Auf alles. Auf die Wahrhaftigkeit. Sie springt mir ins Auge.

Welche Leidenschaften haben Sie noch neben dem Kreieren von Parfüms?

S. L.: Ich habe keine Leidenschaft für Düfte. Ich kann nicht anders, meine Leidenschaft ist nicht aktiv, sie resultiert aus der Unmöglichkeit, etwas anderes zu tun – wie die Leidenschaft in der Liebe oder die Passion Christi... In dieser Hinsicht bin ich vielleicht tatsächlich leidenschaftlich.

Wo machen Sie am liebsten Urlaub?

S. L.: Ich mache niemals Urlaub, ich verabscheue das. Die einzige Währung in meinem Leben ist Zeit – um Dinge für mich zu Ende zu bringen.

sergelutens.com

Picture credits © Sylvie Lancrenon


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