HOTTENTOTTENSTOTTERTROTTEL

HOTTENTOTTENSTOTTERTROTTEL

Das bewegende Leben des Wolf Schneider

VON SANDY STRASSER

(Veröffentlicht in Das Produktkulturmagazin Ausgabe 2 2015)

Er ist einer der bedeutendsten Charakterköpfe des 21. Jahrhunderts, die die deutsche Sprache zu bieten hat. Wolf Schneider ist nicht nur bekannt für seine brillante Rhetorik. Auch die Klarheit, mit der er seine Standpunkte formuliert, ist faszinierend und gefürchtet zugleich. Mit uns hat er über seine Autobiografie gesprochen und uns dabei tiefe Einblicke in sein Leben gewährt.

Herr Schneider, Ihr neues Buch trägt den ungewöhnlichen Titel „Hottentottenstottertrottel“. Welche tiefere Bedeutung hat diese Begrifflichkeit für Sie?

Wolf Schneider : Dieser Titel ist der Anfang eines Zungenbrechers. Mit dem habe ich mich mit zehn Jahren trainiert, als ich bemerkte, dass ich schlechter sprechen kann als die anderen. Da habe ich abends bei einem Lagerfeuer seine ganzen 29 Silben heruntergerattert. Ich dachte: „Trainierst du dagegen an, dann bist du vielleicht schneller als die.“ Und das gelang mir. Seitdem habe ich keine Mühe mehr damit, nicht zu stolpern beim Reden. Es nützt nichts, dass einem die richtigen Wörter einfallen, sie müssen auch glatt von der Zunge gehen.  

Wie muss man sich den jungen Wolf Schneider vorstellen? Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?  

W. S.: Mit sechs Jahren wollte ich Lokomotivführer werden, mit elf war ich Olympia-begeistert. Mit 13 wurde ich einer der besten Läufer der Schule. Ich wollte unbedingt Olympiasieger werden und habe das Laufen kultiviert und trainiert. Als 1939 der Krieg ausbrach, war ich 14, da war der Gedanke, was man beruflich werden wollte, sowieso ganz weit weg. Es ging mir nur darum, den Krieg zu überleben. Ein Held wollte ich nie werden.

In Ihrer Autobiografie schildern Sie unter anderem die Erwägung eines Suizids am Tag, an dem der Zweite Weltkrieg endete. Wie leicht ist es Ihnen gefallen, dieses einschneidende Erlebnis zu Papier zu bringen und damit für die Öffentlichkeit greifbar zu machen? 

W. S.: Das war keine besondere Mühe, schließlich bin ich Journalist. Ich muss interessante Sachen zu erzählen versuchen, und interessante Dinge müssen am Anfang stehen. Ich habe Komplimente dafür bekommen, dass ich nicht mit meiner Geburt angefangen habe, sondern mit einem aufregenden Tag meines Lebens. Viel aufregender geht’s ja nicht.

Was macht für Sie den Sinn des Lebens aus heutiger Sicht aus? 

W. S.: Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Die Behauptung, dass das Leben einen Sinn habe, die fechte ich schon an. Vielleicht hat es siebzehn Sinne, vielleicht auch gar keinen. Ich habe aber eine Art Rezept: Lass deine Talente nicht verkümmern, falls du welche hast. Wenn man beispielsweise komponieren könnte wie Mozart, aber zu faul dazu wäre, dann hätte man den Sinn seines Lebens sicher verfehlt. In der Ausschöpfung meiner Talente war ich offenbar ganz erfolgreich.  

Ihren beruflichen Einstieg in den Journalismus hatten Sie ebenfalls nach Kriegsende. Zunächst als Dolmetscher bei der US-Armee, waren Sie wenige Jahre später unter anderem als Leiter der Nachrichtenredaktion und als Washington-Korrespondent für die „Süddeutsche Zeitung“ tätig. Was haben Sie aus dieser Zeit an Erfahrungen mitnehmen können?

 W. S.: Ungeheuer viel. 1965 in Washington, das war eine der interessantesten Stationen meines Lebens. Im Zentrum der Welt zu sein, für eine der zwei wichtigsten deutschen Zeitungen, das war eine großartige Aufgabe. Damals war die Süddeutsche Zeitung schon auf dem Weg, eines der führenden deutschen Medien zu werden, neben der FAZ. Es war aber auch eine ganz strenge Schule der sauberen Nachricht und des anspruchsvollen Schreibens. Es wurden die saubersten Reportagen, die genauesten Analysen und eine spezielle Sprachkultur erwartet, die ich dann in meinen Büchern verbreitert habe.

Weshalb hat Sie Amerika so stark angezogen? Inwieweit hat das Land Sie in Ihrer Arbeitsweise geprägt?

 W. S.: Ich habe mich 1945 in die englische Sprache verliebt und wurde gleichzeitig mit den amerikanischen Sitten konfrontiert, nämlich als Angestellter amerikanischer Firmen. Amerika war in den frühen Nachkriegsjahren sowieso für die meisten Deutschen das Größte. Dann wurde ich von der Süddeutschen nach Washington geschickt. Das war eine der beeindruckendsten Stationen meines Lebens.

Was denken Sie, welche grundlegenden kulturellen Unterschiede gibt es zwischen Europa und den USA beim Thema Berichterstattung?

 W. S.: Ich habe in Amerika den angelsächsischen Journalismus erlernt. Das war das äußerste Gegenteil dessen, was die Nazis betrieben haben, und es war das äußerste Gegenteil davon, was später Rudolf Augstein im Spiegel betrieben hat. Ich habe Rudolf Augstein ja immer verachtet, weil er ununterbrochen seine Meinung in die scheinbare Nachricht reingemischt hat. Der klassische amerikanische Journalismus macht das Gegenteil: „Erst sag ich mal, was Sache ist – ob mich dafür einer ohrfeigt oder nicht.“ Klar zu berichten, was auf der Welt los ist, das ist der klassische Journalismus. An dem fehlt es hierzulande auch heute noch sehr oft.  

Ab 1966 arbeiteten Sie dann für das Magazin „Stern“, wo Sie drei Jahre später die Position des Verlagsleiters innehatten. 1971 dann der Wechsel zum Axel Springer Verlag. Welche Höhen und Tiefen haben Sie erlebt?  

 W. S.: Es war toll, Henri Nannen kennengelernt zu haben, den großartigsten aller Journalisten, den großen Einpeitscher von Leistung, Erfolg und Qualität. Von ihm habe ich so viel gelernt wie von keinem anderen. Und dann hat er mich zum Leiter der von ihm erfundenen Journalistenschule gemacht – 16 Jahre lang war das die längste und befriedigendste Station meines Berufslebens.

Woher rührt bei Ihnen seit jeher der Wunsch, Ihr eigenes Wissen und Können an andere weiterzugeben?   

 W. S.: Journalisten haben die Aufgabe, ihr Wissen weiterzugeben. Nach dem Motto: „Ich weiß was, also erzähle ich es.“ Ich persönlich fühle mich im Besitz der sprachlichen und gestalterischen Mittel, um Menschen an meinem Wissen teilhaben zu lassen. Das ist die Ur-Basis des Journalismus und die Ur-Basis des Sachbuchschreibens.  

Was raten Sie Medienschaffenden von heute? Wie wichtig ist die Fähigkeit, andere Menschen mit seinem Tun zu berühren?  

 W. S.: Sie müssen die Witterung für Geschichten haben, die andere Menschen interessieren könnten. Das ist das A und O. Wenn ich die nicht hätte, würde ich nicht schreiben.  

Welche Begegnungen haben Sie in Ihrem Leben bisher am meisten geprägt?

W. S.: Die mit Henri Nannen und die mit meiner zweiten Frau.

Was ist das Tolle an Ihrer Frau?  

W. S.: Sie ist unternehmenslustig, abenteuerlustig und risikofreudig, wie ich. Wir haben ungeheuer kühne Entscheidungen getroffen in unserem Berufsleben, und mit unserer Auswanderung nach Mallorca, in die Wildnis. Unsere Gespräche sind immer fröhlich, laut und fruchtbar.  

„Über die Wörter darf man nicht stolpern, wenn die Rede fließen soll. Jeder Lebenslage rhetorisch gewachsen sein.“ Das hat Ihnen, wie Sie selber sagen, hundertfach den Umgang mit Lehrern und mit Schülern, mit Chefredakteuren und Politikern erleichtert. Gab es in Ihrer beruflichen Laufbahn auch Menschen, die Sie nervös gemacht haben?  

 W. S.: Ja, Axel Springer zum Beispiel. Der mochte mich ja nicht. Sein engster Berater sagte mir mal: „Sie sind nicht Springers Typ.“ Ich bin halt ein präziser, harter Redner. Axel Springer war eher ein weicher Mensch, ein Plauderer. Das ist einer der Gründe, warum ich bei ihm gescheitert bin.  

Wie haben Sie sich in diesen Situationen beruhigt?    

 W. S.: Ich hatte einen Bomben-Vertrag auf fünf Jahre, mit einem Bomben-Gehalt und einer Bomben-Chance, eine gute Zeitung zu machen. Also machte ich das auch. Ob er mich mochte oder nicht, das sollte nicht entscheidend sein. Alles in allem bin ich aber immer ganz gut damit gefahren, dass ich eine klare Meinung habe, die ich klar ausspreche, und mir dabei nicht so leicht einer vor den Karren fahren kann. Ich weiß immer noch drei Argumente mehr als der andere.

Als Journalist, Autor und Sprachkritiker sind Sie viel umgeben von Papier. Wie wichtig ist dieses Arbeitsmaterial für Sie? Welche Empfindungen löst es bei Ihnen aus?   

 W. S.: Ich habe ja für mehrere meiner Bücher 50 Jahre lang Informationen gesammelt, alle auf Papier. Papier wird auch künftig lebenswichtig bleiben, das habe ich den jungen Leuten auf der Journalistenschule immer gesagt. Glaubt ja nicht, dass ihr euch auf euren Computer verlassen könnt: Eine Festplatte ist nach spätestens 30 Jahren kaputt – manche schon nach drei. Der Computer macht das langfristige Planen kaputt.

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Picture credits © Frank Bauer


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