BUSINESS-ROMANTIKER

BUSINESS-ROMANTIKER

Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben

VON SANDY STRASSER

(Veröffentlicht in Das Produktkulturmagazin Ausgabe 1 2015)

Spaß und Freude bei der Arbeit – in einer Gesellschaft, in der oftmals genau vorgegebene Zeit- und Tätigkeitsraster den Alltag dominieren, ist das für die meisten mehr Wunschtraum als Realität. Doch birgt die tägliche Routine vielleicht sogar ein wenig Romantik? Der Autor und Marketingstratege Tim Leberecht stellte sich genau diese Frage. Die Antwort darauf gibt er in seinem neuen Buch „Business-Romantiker“. Darin plädiert der in San Francisco lebende Deutsche für eine radikal andere Sichtweise auf unsere Arbeit und eine andere Definition von Erfolg. Uns erzählte er, wie er auf die Idee gekommen ist und welche Vision dahintersteckt. 

Die Bezeichnung „Business-Romantiker“ haben Sie erfunden. Verraten Sie uns, wie Sie darauf gekommen sind und was der Anlass war.  

Tim Leberecht: Eigentlich wollte ich ein Buch über Wirtschaft und Sinnstiftung schreiben, aber je mehr ich in das Thema einstieg, desto mehr stellte ich fest, was mich eigentlich bewegt und wohl auch als Person charakterisiert: ein romantisches Verhältnis zur Welt – und zur Arbeit. Ich wusste schon immer, dass ich ein Romantiker bin, aber je mehr Zeit ich damit verbrachte, die Prinzipien von Sinnstiftung durch die Wirtschaft zu verstehen und zu erläutern, desto mehr begriff ich, dass die alle eines gemeinsam haben: eine romantische Dimension, im Sinne der literarischen und philosophischen Bewegung gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wir brauchen eine neue romantische Bewegung. Wie damals die Romantiker – Novalis, William Blake oder Lord Byron – aufbegehrten gegen den Alleinanspruch der Vernunft und der empirischen Wahrheit, so sollten wir jetzt aufbegehren gegen die Entzauberung der Welt durch die Ökonomisierung und nun zunehmend auch durch die Datafizierung und Quantifizierung unserer Identitäten und Beziehungen, weit über den Arbeitsplatz hinaus. Wir brauchen wieder mehr Romantik in unserem Leben, und Business ist dafür die perfekte Bühne und das effektivste Mittel. 

Was ist ein Business-Romantiker genau? Wie denkt, handelt und fühlt er?  

T. L.: Ein Business-Romantiker sucht nach dem unermesslich Schönen im Profanen und er sucht ständig nach mehr Bedeutung – in allem. Er vertraut seiner Intuition und seinen Gefühlen ebenso, wie Daten und rationaler Analyse. Er trifft Entscheidungen stets auch mit dem Herzen, nicht nur mit dem Verstand. Er handelt sogar manchmal irrational, gegen die Gesetze der Logik. Er ist mehr Künstler als homo faber, mehr Kreativer als Analytiker. Er weiß, dass es da immer noch verborgene Welten gibt, die im Tiefen schlummern, die wir nicht vermessen und kommerzialisieren und vielleicht sogar überhaupt nicht berühren sollten. Er hat Dinge, die ihm heilig sind. Er verliebt sich Hals über Kopf in neue Ideen und Initiativen, und ist mit dem ganzen Herzen bei der Sache, auch wenn das manchmal wehtut. Der Business-Romantiker ist also das Gegenstück zum Zyniker, der „den Preis von allem kennt, aber den Wert von nichts“ (Oscar Wilde) und sich nach der Devise „Ach, das wird ja eh nix“ hinter vorauseilender Resignation verschanzt. Der Business-Romantiker wendet sich auch ganz entschieden gegen jene Datenanalysten, die glauben, in den Daten eine alleingültige, objektive Wahrheit gefunden zu haben. 

Auf welche Dinge legt er im Berufsleben besonderen Wert?  

T. L.: Neugierde, Spontaneität, Kreativität, Vorstellungskraft, Verletzlichkeit, Schönheit, Eleganz, Drama, Konflikt und Abenteuer. 

Wie fängt man idealerweise an, um irgendwann ein formvollendeter Business-Romantiker zu sein? Wie kann man seinen moralischen Kompass neu justieren?  

T. L.: Der romantische Dichter William Wordsworth hat es so formuliert: „To begin, begin.“ Oder um es mit Nike’s Markenmotto zu sagen: „Just do it.“ Ich will damit sagen, dass es zunächst einmal wichtig ist, dass man eine romantische Sensibilität erwirbt, dass man das Geschäftsleben mit anderen, frischen Augen betrachtet und andere Bezugspunkte schafft. Die Amerikaner nennen das „Re-Framing“. Das bedeutet für den Business-Romantiker, eine romantische Brille aufzusetzen, buchstäblich. Im Deutschen wird das schnell als „rosarote Brille“ abgetan – aber Schönheit liegt eben tatsächlich im Auge des Betrachters. Konkret kann dies zum Beispiel bedeuten, dass Sie das Wort „romantisieren“ nicht mehr rein negativ verwenden und dass Sie in Meetings offen über Ihre Gefühle sprechen. Oder dass Sie morgen einfach einmal ganz bewusst als andere Person am Arbeitsplatz auftauchen. Wie die US-Autorin und Sozialpsychologin Amy Cuddy festgestellt hat, ist „So tun als ob“ oft der direkteste Weg zum tatsächlichen „Sein“. Wichtig ist allerdings, dass man Business-Romantik nicht gleich zur Chefsache erklärt oder firmenweit formalisiert. Das wäre nämlich kontraproduktiv und würde die Romantik im Ansatz zerstören. 

Wir verbringen heutzutage den größten Teil unseres Lebens mit Arbeit. Was sind die negativen Merkmale unseres modernen, vernetzten Zeitalters? Und welche positiven sehen Sie?  

T. L.: Unser vernetztes Zeitalter führt unweigerlich zu Datafizierung, Quantifizierung und Automatisierung. Wenn Sie heute Wirtschaftsmagazine aufschlagen, dann lesen Sie vom „algorithmischen CEO“, „algorithmischen Recruiting“ und „algorithmischen Unternehmen“. Damit einher geht der Aufschwung von Virtual und Augmented Reality sowie von künstlicher Intelligenz. Bill Gates hat zuletzt ja große Besorgnis bekundet angesichts des dahingehend rasanten Fortschritts. Die große Frage aber wird sein, wie human unsere Arbeitswelt noch sein wird. Super-intelligente Maschinen werden denken können, ganz klar – aber werden wir Menschen noch fühlen können? Ich glaube, dass wir für unser „nicht-quantifizierbares Selbst“ kämpfen müssen, dass wir den Freiraum verteidigen müssen, in dem wir noch Narren sein können. Wir sind eben keine Produktivitätsmaschinen, die objektiv und fehlerfrei Resultate liefern. Wir sind soziale Wesen und fühlen uns hingezogen zu Unternehmen, weil sie soziale Experimente sind mit offenem Ausgang. 

Sie glauben daran, dass die Verheißung über die Erfüllung siegt. Erläutern Sie uns bitte diese Sichtweise. 

T. L.: Das ist der Kern der Romantik: das Versprechen, die Sehnsucht, die Hoffnung auf eine andere, verborgene oder unentdeckte Welt. Das sind gleichzeitig auch die Prinzipen der romantischen Liebe: das Kennenlernen, sich gegenseitige Abtasten, die Spannung, das Ungewisse, das jedes Abenteuer ausmacht. Clevere Marken wie Apple oder auch Automobilhersteller verstehen das natürlich. Der Zauber des Versprechens und der schrittweisen Enthüllung sind starke Faktoren ihrer Markenattraktivität. Am Arbeitsplatz hingegen sind wir darauf bedacht, Ungewissheit und Risiko zu minimieren. Wir leben in einer binären Wirklichkeit – oder der Illusion davon – in der es meist nur um Ergebnisse geht und in der die Zahlen die Geltungshoheit haben. Erst nach und nach begreifen Unternehmen, wie wichtig Absichtserklärungen und Missionen sind – letztlich ja alles Verheißungen und Versprechen – und eben nicht nur die letzte Quartalsbilanz. Insbesondere für jüngere Erwerbstätige werden die Werte des Unternehmens und auch die Kultur am Arbeitsplatz immer wichtiger, um aus der eigentlichen Arbeit mehr Sinn zu schöpfen. 

In Ihrem neuen Buch schlagen Sie konkrete Techniken vor, mit denen man Marken und Produkte emotionaler und den eigenen Arbeitsalltag träumerischer gestalten kann. Gewähren Sie uns bitte einen kleinen Einblick. 

T. L.: In meinem Buch präsentiere ich sogenannte „Regeln für Business-Romantiker“ sowie ein Einsteigerpaket, das konkrete 15 Schritte vorschlägt. Die Regeln reichen von „Gib mehr als du nimmst“ über „Hüte das Geheimnis“ und „Tu so, als ob“ bis hin zu „Steh still und tue nichts“. Alle diese Regeln hinterfragen typische Konventionen. Mit „Hüte das Geheimnis“ zum Beispiel wende ich mich gegen den Glauben, dass Transparenz immer gut ist, und zeige auf, wie kleine Geheimnisse und Rätsel die Phantasie auf Trab halten. Letztlich geht es bei allen Regeln darum, das Vertraute wieder fremdartig, ja sogar etwas seltsam zu machen. Kleine Manipulationen, kleine „Hacks“, kleine Tabubrüche wirken da buchstäblich Wunder.

In Ihrem Buch schreiben Sie weiter, dass Sie als Kind immer Künstler werden, am Ende aber doch ein „Marketing-Typ“ geworden sind. Gibt es die eine oder andere Komponente, die beide Berufsrichtungen gemeinsam haben? 

T. L.: Auf jeden Fall. Als ich 20 Jahre alt war, brach ich mein Jura-Studium ab, um eine Musiker-Karriere zu verfolgen. Meine Band brachte zwei Alben raus bei einem Indie-Label. Mit der Karriere wurde es nichts, aber ich bin immer noch sehr stolz auf die beiden Veröffentlichungen und habe in der Zeit sehr viel gelernt über Kreativität und Kollaboration. Die ganze Zeit war eine extrem spannende Erfahrung, und ich erinnere mich noch genau an die intensiven emotionalen Momente im Studio und auf der Bühne. Heute arbeite ich im Marketing, aber ich fühle mich immer noch wie ein Teil einer Band, und ich suche nun in Meetings, Präsentationen, Projekten die selbe Intensität wie damals als Musiker – und finde sie oft auch.

Laut einer Gallup-Umfrage, die 2013 in 140 Ländern durchgeführt wurde, sind nur 13 Prozent der Angestellten weltweit mit vollem Einsatz und Begeisterung bei der Arbeit. 63 Prozent fehlt es an Motivation und ganze 24 Prozent sind unglücklich. Wie findet man einen Arbeitgeber, der nach dem Prinzip „Business-Romantik“ lebt? 

T. L.: Ja, wenn nur 13 Prozent aller Angestellten weltweit „voll engagiert“ sind (in Deutschland sind das übrigens immerhin 16 Prozent), kann das nicht genug sein, nicht nur im Hinblick auf den ökonomischen Preis, den Unternehmen dafür bezahlen, sondern auch unsere eigenen Ansprüche. Wir verbringen mehr als zwei Drittel unserer Tage mit Arbeit, und die vielen Momente am Arbeitsplatz machen einen großen Titel unserer Lebensgeschichte aus, sind Teil unserer persönlichen Bilanz. Es ist aber schwierig, ein Unternehmen zu finden, das rundum romantisch funktioniert und alle meine Prinzipien verinnerlicht hat. Allerdings gibt es eine wachsende Reihe von Geschäftsmodellen und Kulturen, die sich bewusst oder sogar unbewusst romantische Tugenden zu eigen machen. Und dann gibt es natürlich Marken, die in ihrem Kern romantisch sind: Apple unter Steve Jobs hat jahrelang dazugezählt, jetzt sind es auch Tesla oder die Modekette Maiyet. Fußballvereine wie der FC Barcelona, Borussia Dortmund oder der FC Bayern sind auch romantische Marken, mit hingebungsvollen Fans, die mitleiden und eine intime Beziehung pflegen zu ihrem Lieblingsverein, weit über eine rein rationale Zweck-Nutzen-Beziehung hinaus. 

Was denken Sie, wird künftig unseren Arbeitsalltag beeinflussen? Wie wird er aussehen und welche Chancen wird er für uns bereithalten? 

T. L.: Wir erleben die „Consumerization“ der Arbeitswelt. Wenn Sie sich als Verbraucher an Smart Phones und Games erfreuen, dann ist es schwierig, bei der Benutzung von CRM-Software oder Excel-Datenbanken die gleiche Freude zu empfinden. Die „Verzauberung“ der Wirtschaft muss daher in allen Bereichen stattfinden, von den operativen Prozessen zu HR, von der Kommunikation zu den Benutzeroberflächen der IT-Systeme. Firmen wie SAP haben das schon begriffen und investieren in Kreativität und Design, um die „Enchantment Gap“ zu verringern und sowohl Mitarbeitern wie auch Kunden Momente des Glücks und der Freude zu bereiten, die über die rein zweckorientierte Nutzung hinausgehen. Das alles steht unter der Losung „humanere Wirtschaft“. Wir erleben flexiblere Arbeitszeiten, Tele-Arbeit und mehr Informalität. Die Grenze zwischen Privatleben und Arbeit wird weiter zerfließen, so dass Cocooning und Privatheit dann eben im Büro stattfinden. Wir werden weniger Arbeit mit nach Hause nehmen, aber mehr von uns selbst mit zur Arbeit bringen. 

Wie definieren Sie für sich den Begriff „Erfolg“? 

T. L.: Freudentränen. 

TIM LEBERECHT

Tim Leberecht ist Marketingchef von NBBJ, einer weltweit agierenden Design- und Architekturfirma. Davor war er in gleicher Position bei Frog Design tätig, einem Unternehmen für Produktdesign und Strategieberatung. Er veröffentlicht regelmäßig in Publikationen wie Fast Company, Forbes, Fortune oder Wired und spricht auf Konferenzen wie DLD, TED oder re:publica. Leberecht ist Mitglied des Values Council des Weltwirtschaftsforums und Gründer und Kurator der Dinner-Reihe „15 Toasts“. Er lebt und arbeitet seit vielen Jahren in San Francisco. 

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Picture credits © Tim Leberecht


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