AUF DEN SPUREN VON DSCHINGIS KHAN

AUF DEN SPUREN VON DSCHINGIS KHAN

Der Australier Tim Cope reist zu Pferde mit einem Hund auf den alten Steppenpfaden der Nomaden von der Mongolei bis nach Ungarn 

VON ANJA FAHS

(Veröffentlicht in Das Produktkulturmagazin Ausgabe 3 2014)

Über 10 000 Kilometer von der Mongolei durch Zentralasien bis nach Europa. Sein großer Ritt führt Tim Cope vom Fuße des Changaigebirges bis über die Karpaten und ist schon jetzt ein Klassiker der modernen Abenteuergeschichte.

Drei Jahre lang durchreitet der australische Abenteurer das einstige Reich des legendären Mongolenherrschers Dschingis Khan. Eine Reise, die ihn durch glühend heiße Wüsten, über hart gefrorene Steppen und schroffe Gebirgsketten führt. Ohne Begleitfahrzeuge vertraut er unterwegs einzig auf die Gastfreundschaft der asiatischen Nomadenclans, auf die Ausdauer seiner Pferde und auf die Treue seines kasachischen Hirtenhundes Tigon, dem er schon mal mit rohen Eiern und Wodka das Leben retten muss. Jetzt hat er ein Buch über seine Reise veröffentlicht. Uns erzählt Tim Cope von seinem Abenteuer und lässt uns dabei mit eintauchen in das Leben im Rhythmus der Steppe.

Tim, wie bist Du auf die Idee zu dieser epischen Reise gekommen? 

Tim Cope: Als ich zwanzig Jahre alt war, fuhren mein Freund Chris und ich auf Fahrrädern durch Sibirien und die Mongolei bis nach Peking. Irgendwo unterwegs, während wir uns durch den Sand der Wüste Gobi kämpften, hatte ich meine erste Begegnung mit Nomaden: Reiter, die plötzlich auftauchten und dann in Richtung Horizont galoppierten – dorthin, wohin wir es mit unseren Fahrrädern nie schaffen würden. Der freie Geist dieser Menschen inspirierte mich. Sie lebten in einer Welt ohne Grenzen, hatten eine tiefe Verbundenheit zu ihrem Land. Und ich sehnte mich danach, dies zu verstehen. 

Zurück in Australien forschte ich weiter und war verzaubert. Von der Mongolei aus erstreckte sich die Große Eurasische Steppe einst über 10.000 Kilometer als freies Land ohne Zaun bis zur Donau in Ungarn. Seitdem die ersten wilden Pferde vor über 5.500 Jahren von Menschen gezähmt wurden, ritten Völker über dieses riesige leere Gebiet und erschufen Nomadenreiche, die unter Dschingis Khan im 13. Jahrhundert ihren Höhepunkt hatten. Ich fragte mich, ob es diesen freien Nomaden-Geist auch heute noch unter den verstreuten Stämmen in der Steppe gibt. Wie wäre es für einen Nomaden, von den freien Wiesen plötzlich in die umzäunten und besiedelten Gebiete Europas zu kommen und diese total fremde Lebensweise zu sehen? Um diese Fragen zu beantworten, musste ich mich auf ein Pferd setzen und den gleichen Weg zurücklegen, den die berittenen Krieger auf ihrer Reise nach Europa einst genommen hatten.

Wie hast Du Dich auf die Reise vorbereitet? Was war am schwierigsten im Vorfeld? 

T. C.: Vor der Reise hatte ich ein Training zum Wildnis-Führer in Finnland und Russland absolviert und mehr als 18 Monate auf diversen Expeditionen in Russland verbracht. Dabei hatte ich Russisch gelernt und mehr oder weniger erkannt, auf was es im Leben in der ehemaligen Sowjetunion ankommt. Das war sicherlich unglaublich wertvoll für meine Reise. Aber das größte Problem war, dass ich nicht reiten konnte. Das letzte Mal saß ich mit sieben Jahren auf einem Pferd, wurde abgeworfen und kam mit einem gebrochenen Arm ins Krankenhaus. Seitdem hatte ich Angst vor Pferden. 

So beunruhigte mich am meisten, dass ich vieles über Pferde lernen musste, vor allem wie man mit Pferden unterwegs ist. Ich wollte ein Reitpferd mitnehmen und zwei Packpferde, gelegentlich auch ein Kamel. Viele Monate suchte ich nach der passenden Ausrüstung. Ich verbrachte einige Zeit mit einem Pferde-Tierarzt und lernte die Grundkenntnisse des Packpferde-Trainings auf einem Trip in die Berge meiner Heimat in Victoria, Australien. Trotzdem muss man einfach sagen, dass ich das meiste unterwegs lernte, wenn ich mich unter Anleitung der Nomaden um die Pferde kümmerte, denn ihnen liegt der richtige Umgang mit den Tieren einfach im Blut.

Welche Schwierigkeiten mussten auf der Reise bewältigt werden? Was war wirklich hart? 

T.C.: Die Gefahren und Schwierigkeiten waren sehr vielfältig. Als blutiger Reitanfänger waren sicherlich die Pferde an sich schon ein Risiko. Ich hatte große Angst, herunterzufallen und mich zu verletzen und alleine in der Steppe zurückzubleiben, wenn die Pferde weglaufen – vor allem im Winter. Das passierte Gott sei Dank nie. Pferde-Diebstahl ist ein großes Problem und ein russisches Sprichwort sagt: “Der gefährlichste Wolf ist der auf zwei Beinen”. Tatsächlich wurden mir zwei meiner Pferde bereits am fünften Tag meiner Reise gestohlen. Ich bekam sie wieder, aber noch zwei weitere Male kamen sie unfreiwillig abhanden. 

Auch die Schneestürme mit Temperaturen unter 40 Grad minus oder glühende Hitze in der Wüste von Kasachstan waren eine Herausforderung. Dazu kam die tägliche Suche nach Wasser und Gras für die Pferde. Mir wurde klar, wieso die Mongolen ihre Eroberungszüge immer in den Herbst- und Wintermonaten unternahmen, wenn die Pferde Schneewasser zum Trinken haben und gefrorene Flüsse einfacher überquert werden können. Im Winter musste ich Wölfe mit Feuerwerkskörpern vertreiben. Und natürlich war es nicht immer einfach, mit der Einsamkeit klarzukommen, manchmal wurde das Gefühl des Alleinseins übermächtig. Plötzlich begriff ich, welchen unglaublichen Wert Freunde und Familie haben.

Was war die größte Herausforderung auf dieser Reise? 

T.C.: Ich war schon zweieinhalb Jahre unterwegs, hatte die schwierigsten Regionen und den größten Teil der Strecke hinter mir und kam in die südliche Ukraine, als mich der schwerste Schlag der ganzen Reise traf: Über das Satellitentelefon erfuhr ich, dass mein Vater, Andrew Cope, bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Ich ließ sofort meine Tiere zurück und flog nach Australien. Mein Vater hatte einen großen Einfluss auf meine Entscheidung, ein abenteuerliches Leben auf Reisen zu führen, und unser Verhältnis war trotz der großen Distanzen immer sehr eng. Die Ironie in diesem Augenblick hätte nicht größer sein können: Hier war ich mitten in einem großen Abenteuer, das so viele Risiken barg – aber mein Vater kam gerade mal 50 Kilometer von zu Hause entfernt im Auto um! Ich blieb mehr als vier Monate in Australien und trauerte mit meiner Familie. Danach kehrte ich in die Ukraine zurück, um meine Reise fortzusetzen. Aber jetzt, mit dem Bewusstsein, wie verwundbar und fragil das menschliche Leben doch ist, waren die letzten 1.000 Kilometer bis zum Ende emotional die schwierigsten der ganzen Reise. 

Was war das schönste Erlebnis auf dem ganzen Weg? 

T.C.: Mein bestes Erlebnis war die Überquerung der Pässe zwischen den über 4.000 Meter hohen Gipfeln der Kharkhiraa-Turgen-Berge im Westen der Mongolei. Hier traf ich auf eine Gegend, in der die Nomaden immer noch mit ihren Kamel-Karawanen von Weide zu Weide ziehen. Das ist ein Teil der Welt, den die Technologie noch nicht erreicht hat. Der Blick auf die schneebedeckten Gipfel und die grünen Bergwiesen, auf denen als weiße Punkte die Nomadenzelte standen, war ein magisches Erlebnis.

Aber ganz grundsätzlich würde ich sagen, dass das wirkliche Highlight dieser Reise die Menschen waren. In Kasachstan sagt man: „Beim ersten Besuch bist du ein Gast, beim zweiten ein Teil der Familie und beim dritten kannst du für den Rest deines Lebens bleiben.“ Und genauso fühlte ich mich auf meinem Weg nach Westen, als ich bei insgesamt mehr als 90 Familien aufgenommen wurde. 

Wie hat jeder einzelne deiner vierbeinigen Begleiter mit seinem speziellen Charakter dazu beigetragen, dass Du die Reise bewältigen konntest? Was bedeuteten Dir die Pferde und Tigon auf dem Weg? 

T.C.: Mit der Zeit wurden die Pferde viel mehr als nur ein Transportmittel – sie waren meine Kameraden, Freunde die mich trösteten und auf die ich angewiesen war um zu überleben. Es ist nicht verwunderlich, dass die Nomaden früher immer zusammen mit ihren besten Reittieren beerdigt wurden. Ohne Pferde wäre ein Leben in der weiten, leeren Steppe nicht möglich. Am Ende der Reise konnte ich mir ein Leben ohne Pferde einfach nicht mehr vorstellen. Ich muss auch sagen, dass die Pferde nicht nur meine Verbindung zum Land waren. Sie halfen mir auch, die lange Zeit und kulturelle Kluften zu überwinden und die Geschichte der Nomaden in der Steppe besser zu verstehen. 

Und dann ist da noch Tigon, mein kasachischer Hund, der wahrscheinlich den größten Anteil daran hatte, dass ich während der härtesten Zeiten der Reise bei Verstand blieb. Er gehört zu einer Rasse, die in Kasachstan als Tazi bekannt ist und traditionell zur Jagd auf Hasen und Füchse gezüchtet wird. Ich bekam ihn als Welpen von einem kasachischen Hirten namens Aset. Am Anfang glaubte ich nicht, dass dieser dünne, sechs Monate alte Welpe im eisigen Winter länger als zwei Wochen überleben würde. Aber bald wurde er mein Kumpel und auf seine Art und Weise die Reinkarnation von Dschingis Khan (der auch seine DNA bei den Damen in der ganzen Steppe zurückgelassen hatte...). 

Hat die Reise Deine Persönlichkeit oder Deinen Charakter verändert?  

T.C.: Ich wurde vor allem toleranter gegenüber allen Menschen, egal welche Fehler oder Macken sie haben. Als ich dort draußen ganz alleine war, konnte ich mir meine Freunde nicht nach oberflächlichen Gesichtspunkten aussuchen. Ich musste in bestimmten Situationen einfach an die besseren Seiten der Menschen appellieren, egal wer sie gerade waren. Dabei entwickelten sich Freundschaften mit den unterschiedlichsten Menschen, von russischen Alkoholikern in der abgewrackten Minenstadt Akbakai zu Mafiosis unter den Kosaken in Südrussland und auch zu ganz einfachen Nomadenfamilien, die mich aufnahmen wie ihren verlorenen Sohn. Ich glaube, der größte Erfolg war, dass ich mein Ziel erreichte und nach Europa kam. Tagein tagaus durch eine Welt ohne Zäune oder privaten Grund und Boden zu reiten hat die Art und Weise verändert, wie ich eine Landschaft betrachte oder beobachte, wie Menschen mit der Natur umgehen. Um das genauer zu verstehen, muss man sicher mein Buch lesen, das ich in den letzten vier Jahren geschrieben habe und das immer ein Teil meines Traumes war.

Was wurde aus den Pferden und Tigon, als die Reise beendet war und Du zurück nach Australien gingst?  

T.C.: Am Ende der Reise musste ich einige sehr schwierige Entscheidungen treffen. Die Pferde mit nach Australien zu nehmen war niemals eine realistische Option. Und Tigon mit nach Hause zu bringen hätte sicherlich mindestens 10.000 Dollar gekostet. So entschloss ich mich, die Pferde einem Waisenhaus in Ungarn zu schenken, das eine Reittherapie für die Kinder ins Leben gerufen hatte. Australien hat die härtesten Quarantäne-Bestimmungen auf der ganzen Welt. Um für Tigon eine Genehmigung zur Einreise zu bekommen, hätte er eigentlich ein Jahr lang in Ungarn bleiben müssen, um zunächst EU-Papiere zu bekommen, bevor man einen Antrag für Australien hätte stellen können. Dazu hätte er sämtliche medizinischen Untersuchungen und Tests über sich ergehen lassen müssen.

Aber vielleicht war es ja so, dass ich eine Erlaubnis von der australischen Quarantänebehörde bekommen habe und das Geld für Tigons Transport sammeln konnte. Oder eventuell hat ihn ja auch ein Tierarzt mit dem Auto nach Wien gebracht, von wo er über Dubai nach Australien geflogen ist. Wie dem auch sei: Er lebt heute hier bei mir und hat die letzten vier Jahre zugeschaut, wie ich mein Buch geschrieben habe. Jeden Tag freut er sich auf seinen Auslauf hoch in die Berge, zwischen denen ich jetzt lebe, im Nordosten von Victoria.

Du bist durch Sibirien geradelt, den Yenisey-Fluss entlang gereist, warst in der Antarktis und bist eben aus der Mongolei wieder zurückgekehrt. So viele Abenteuer, die Du schon erlebt hast. Glaubst Du, dass dort draußen in der Welt trotzdem noch etwas Neues und Herausforderndes auf Dich wartet?  

T.C.: Ja, wenn es etwas gibt, was mich aufmerksamer auf die Dinge macht, die ich nicht weiß, dann ist es reisen! Ich würde sehr gerne so weiterleben: schreiben, filmen und Abenteuerreisen unternehmen. Denn trotz der Verbindung zum Internet, Mobiltelefonen und schnellen Flugreisen ist die Welt immer noch sehr, sehr groß. Vor allem auf dem Rücken eines Pferdes oder alleine zu Fuß...

Gibt es einen Platz auf der Welt, wo Du unbedingt einmal im Leben gewesen sein möchtest – und bisher noch nicht warst?  

T.C.: Ich möchte gerne noch mehr von Zentralasien sehen – alles, von Afghanistan über Tibet bis nach Pamir und Tien Shan.

Was möchtest Du auf keinen Fall mehr im Leben missen müssen?  

T.C.: Ich möchte eigentlich nicht mehr zu lange von meiner Mutter, meinen Brüdern und meiner Schwester getrennt sein. Das ist ein Dilemma, mit dem ich mich bei zukünftigen Reisen auseinandersetzen muss. Ich würde gerne sagen, dass ich dann eben nur Reisen planen werde, die nicht länger als drei Jahre dauern – aber gerade diese langen Reisen, bei denen ich wirklich in die Kultur und in ein Land eintauchen kann, sind die, die so richtig nach meinem Geschmack sind.

Was steht als nächstes auf der Liste?  

T.C.: Mein allernächstes Projekt ist, eine Version meines Buches für Jugendliche zu schreiben und ein Bilderbuch, das auf den Geschichten rund um Tigon basiert. Davon abgesehen bin ich mir noch nicht ganz sicher, aber einer meiner Träume wäre, von Indien nach Europa zu reisen auf den alten Routen der Roma- und Sinti-Völkerwanderungen. Und natürlich auf traditionelle Art und Weise.

timcopejourneys.com

Picture credits © Tim Cope


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